Südtirol – das mehrsprachige Paradies?

Südtirol ist wunderschön, das ist eine der häufigsten Beschreibungen dieser Region im Herzen Europas. Darauf muss ich nicht eingehen, diese Schönheit ist inzwischen europäisches Allgemeinwissen. Denk ich mal. Aber die Bevölkerung ist etwas Besonderes. Zu Beginn dachte ich wirklich, dass hier ein Zusammenleben der Sprachgruppen umgesetzt wurde. Schlagwörter „Weltbeste Autonomie“ oder „Friedliches Zusammenleben“. Wie ich es erlebte zu Beginn, als ich noch mehr Besucherin war und wie ich es im Laufe der Zeit und heute erlebe, davon möchte ich heute berichten!

Als Nordtirolerin geprägt, hatte ich folgendes Bild von Südtirol in mir: Schreckliche Vergangenheit (immerhin hatte ich noch in der Schule „Heimatkunde“ und wusste von den Katakombenschulen und der Option), nach den Bombenjahren Erreichung der sogenannten weltbesten Autonomie, wirtschaftlicher Aufschwung bis hin zu einem kleinen, aber reichen Land. Alle Südtiroler sind glücklich und natürlich mehrsprachig und europäisch, also eher global eingestellt. Die Sprachgruppen sind alle gleichberechtigt und selbstverständlich gegenseitig hoch geachtet….

Sehr idyllisch, nicht wahr? Seit sechs Jahren erfahre – ja, ich versuche mit allen Sinnen Menschen wahrzunehmen, daher die seltsame Wortwahl! – ich diese Menschen hier, ich fing schnell an, gewissen Nuancen zu spüren. Das erste, das mir schnell auffiel, war das seltsame Verhalten der deutschen Sprachgruppe! Nicht selbstbewusst, oder einfach gewohnt, antworteten sie ALLE auf ein holpriges Deutsch eines Italieners  – oder einer Dame selbstverständlich – sofort und ohne auch nur einen Augenblick zu zögern in fließendem Italienisch! Warum tun sie das? Ich wollte aber nicht schon im ersten Jahr diesen total lieben Menschen möglicherweise unangenehme Fragen stellen, also beobachtete ich weiter. Ich versuchte hinzuhören, hinzuspüren. Es passte nicht in mein Bild der selbstbewussten und selbstverständlich gleichberechtigten Sprachgruppen…

Viele merken es wohl einfach gar nicht. Es ist schon internalisiert, wie wir Fachleute aus der Psychologie hochgestochen bemerken – einfach total verinnerlicht. Außerdem bemerkte ich etwas anderes, nicht weniger seltsam Anmutendes: Sie reden in einem wunderschönen Dialekt miteinander (naja, ich mag jegliches Tirolerisch!) und plötzlich kommen italienische Wörter hinzu. Einmal fragte ich in einem Restaurant, was denn dieses italienische Wort bedeute, das ich an diesem Abend besonders häufig hörte. Und die Reaktion war irgendwie lustig: Sie starrten mich an und mein Schatz meinte, dass er das hier nicht sagen will, aber zuhause würde er es mir erklären….. Ich verstand sofort, dass es ein ganz schlimmes Schimpfwort sein musste, das man zwar in Italienisch öffentlich laut artikulieren kann, aber auf Deutsch geht das gar nicht! Wow! Interessant war das für mich schon, aber auch vollkommen unverständlich.

Mein analytischer Verstand wirft sich direkt auf solche Dinge: es wird hinterfragt, geforscht, hingehört, hingespürt…

Ich möchte einfach immer meine Umgebung verstehen und dazu muss ich auch immer wieder Fragen stellen. Es ist der Blick von außen, der uns manchmal extrem herausfordert, aber erst dadurch auch Möglichkeiten zur Entwicklung entstehen. Solange ich unbewusst einfach agiere – „unbewusst“ beinhaltet auch immer, dass ich das nicht hinterfragen kann, weil mein Verhalten einfach automatisiert geschieht – kann sich mein Verhalten nicht ändern. Allerdings sobald es bewusst wird, ist es auch änderbar. Durch die Geschichte bedingt und ja auch heute noch, durch manches Verhalten der Italiener, ist es kein Wunder mehr für mich, dass sich die deutschsprachigen Südtiroler so verhalten.

Selbst habe ich mich 2014 einer amtlichen Zweisprachigkeitsprüfung unterzogen. Damals benötigte ich den Bildungsnachweis für meine Bildungskarenz, die ich in Südtirol verbrachte, um Italienisch zu lernen. Es erschien mir eine einfach Möglichkeit hier in Südtirol diese Prüfung zu versuchen. Was ich da erlebte, war schon sagenhaft! Ich bin ein Mensch der seeeehr viele Prüfungen im Leben gemacht hat und ich habe auch schon so manchen Prüfer gehabt, der nicht gerade erpicht war, dass jemand die Prüfung schafft. Aber während der mündlichen Prüfung hat die italienische Prüfungskommission wohl mein Hörverständnis mit meinem aktiven Sprachvermögen verwechselt: sie redeten in Italienisch untereinander sehr abfällig über mich! Es war wirklich arg und ein Armutszeugnis für diese Prüfer! Ich war als Österreicherin einfach ein Mensch zweiter Klasse und man unterstellte mir meine Beweggründe für diese Prüfung: „In Österreich steht sie wohl auf der Straße und denkt, dass sie hier in ihrem Alter noch eine Arbeit bekommt! Wie blöd ist DIE denn!“ so ungefähr, recht frei übersetzt von mir, waren die noch harmlosen Aussagen über mich! Ich erspar euch die anderen. Da war mir ja eh schon alles klar. Als sie mir am Ende erklärten, dass mein Italienisch nicht ausreicht, wies ich sie auf den Umstand hin, dass mein passives Sprachverständnis sehr groß ist und ich wirklich ALLES verstanden habe, was sie gesagt haben in Italienisch, darauf folgte sehr betretenes Schweigen und zwei von drei liefen im Gesicht rot an.  DAS war mir Genugtuung!

Spätestens da wurde mir glasklar, dass die Sprachgruppen Italienisch  und Deutsch alles andere als gleichberechtigt sind! Schade, aber ja. Dazu muss gesagt werden, dass diese Prüfung nötig ist, um in einem öffentlichen Amt arbeiten zu dürfen. Ich kann nur hoffen, dass sie nur über mich so dachten und nicht über einheimische Deutschsprechende! Ich will hier nicht spekulieren, aber die Haltung der Prüfer mir gegenüber sagt schon etwas aus.

Ich lerne doch sehr gerne Sprachen und die Sprache Italienisch kann nichts für die Dummheit mancher Italiener! Also ich mache weiter, denn ich spreche schon fließend Englisch und Italienisch muss auch noch viel besser werden. Aber die nächste Prüfung – mein Ziel ist Niveau B2 abzuschließen – mache ich sicher nicht mehr hier. Ich werde die CELI Prüfung machen, welche die Universität Perugia anbietet und mein Sprachinstitut hier in Bozen organisiert. Diese Prüfung gilt überall und ich hörte, dass die Prüfer alle freundlich sind und sich freuen, wenn jemand versucht die Sprache adäquat zu lernen. Auch die Kursleiterinnen – 2014 und heute – sind unglaublich wertschätzend und freundlich zu allen.

Mein Fazit über das Zusammenleben: es existiert nur auf dem Papier. In Wirklichkeit lebt es sich „Nebeneinander“ offenbar derzeit noch am besten!

Mein Fazit über die weltbeste Autonomie: mhm… echt jetzt? Gibts wirklich keine besseren Autonomien? DAS bezweifle ich sehr. Es ist offenbar schwierig adäquat-angepasste Gesetze für diese Region zu beschließen, da Rom oft sehr schnell interveniert und dagegen arbeitet. Es zieht sich alles ungeheuerlich in die Länge. Was oft große Probleme nach sich zieht: siehe das Wolfsproblem! Die Schafe werden noch eine Weile länger zuhause bleiben, statt auf die Alm zu kommen. Der Wolf wird sich derweil gut vermehren und bis es zu irgendeinem adäquaten Gesetz kommt, sprich, dass diese heilige Kuh – der Wolf – doch auch „entnommen“ werden darf, wird es noch dauern. Bauern werden also möglicherweise weniger, während der Wolf mehr wird…..

Nur ein Beispiel von zahllosen Beispielen einer Alltagsautonomie in Italien: alles andere, als die „Weltbeste Autononomie!“

Eine meiner liebsten Freundinnen ist aus Verona. Sie erzählte mir, wie schwierig es für eine Italienerin in Südtirol ist, Deutsch zu lernen: die deutschsprachigen Südtiroler redeten sofort Italienisch mit ihr, bei ihren Versuchen Deutsch zu sprechen und sie fühlte sich dadurch nicht gut genug. Sie glaubte, dass es an ihr liege. Ich konnte ihr erklären, warum es so ist und sie begann zu verstehen. Aber bezüglich der italienischen Schimpfwörter im Gebrauch des Dialekts empfand sie nur Beleidigung für ihre Muttersprache. Was ich nachvollziehbar finde. Aber auch hier gilt, dass es automatisiert geschieht. Mir selbst widerstreben alle Schimpfwörter – egal in welcher Sprache! Daher mag ich auch dieses Verhalten nicht so gern.

Was mir sonst noch so alles auffällt, das lasse ich euch gerne wissen. Bitte bedenkt immer, dass es nur meine ganz persönliche Meinung ist, die sich aus rein subjektiven Erfahrungen ergibt.

Ich freue mich auf eure Meinungen und Rückmeldungen zu diesem Thema!

 

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