Nun bin ich doch schon einige Monate hier in Südtirol. Der Begriff „Heimat“ beschäftigt mich besonders in letzter Zeit, aber nicht zum ersten Mal in meinem Leben. In jungen Jahren war ich ein Jahr in England und damit begann die Neugierde an dem Begriff „Heimat“. Was macht Heimat aus? Ist Heimat wandelbar? Ist Heimat in mir? Oder hängt sie an Orten oder Menschen? Wie ist er zu verstehen, dieser mysteriöse Begriff, der besonders in den letzten Jahren wieder viel diskutiert wird?
Ich denke, dass der Begriff in der Ferne greifbarer ist als daheim. Es begann bei mir also schon vor über 30 Jahren, dass ich mich mit diesem Begriff auseinandersetzte. Damals war ich in England und zwar in Coventry, Mittelengland. In diesem Land mit den wunderbaren Leuten, die unglaublich freundlich sind, aber auch äußerst diszipliniert auftreten können (bspw. die berühmten „queue“s vor dem Bus bzw. überall wo sich Menschen anstellen müssen). Vieles war mir als Tirolerin vollkommen neu, obwohl ich in der Schule im Englischunterricht auch viel von der englischen Kultur gelernt hatte.
Mir fiel auf, dass ich diese seltsame Mentalität nicht ganz verstehen konnte: einmal fragte mich eine Bekannte, ob mir ihr neues Kleid gefällt. Ich sagte ihr zwar freundlich, aber auch ehrlich, dass mir diese große Blume auf Hüfthöhe nicht gefällt, aber das Kleid insgesamt doch ganz hübsch ist. Ihre Reaktion war etwas verhalten, aber ich beachtete das wohl etwas zu wenig. Mein lieber Freund, bei dem ich zu dieser Zeit wohnte, teilte mir später mit, dass das überhaupt nicht geht. Es sei einfach unmöglich, so deutlich die Meinung zu sagen. Wow. Ich hätte sie tief verletzt usw…. Da war ich erstaunt. Na ja, frag doch keine Tirolerin um ihre Meinung, denn sie wird sie dir tatsächlich kundtun!
Also dieses überfreundliche Gemüt, das sehr angenehm ist, aber für mich auch etwas fremd. Ich wusste nicht, dass ich lügen muss, wenn mich jemand um meine Meinung fragt. Damit fühlte ich mich auch nicht wirklich wohl.
Das Entsetzen von meinem damaligen Freund, als ich Speck von zuhause geschickt bekam und natürlich sofort über denselben mit Heißhunger herfiel, ja das Entsetzen in seinem Gesicht werde ich wohl nie vergessen. Ein Gemisch aus Ekel und Grauen schrie mir in seiner Mimik entgegen und er sagte sowas wie: „IIIIIIhhhgiiiitttt. DU ISST ROHEN SPECK! Bist du eine Kannibalin?“ Ich kann euch nicht sagen, wie mein Gesicht aussah in diesem Moment, aber wahrscheinlich wäre heute ein Foto davon sicher lustig. Ich zog gerade an einem Stück Speck herum, das ich schon teilweise im Mund hatte. Ich hatte eine große Scheibe aus Ungeduld in den Mund gesteckt und versuchte nun mit den Zähnen und den Fingern sie kleiner zu kriegen, als ich seinen Aufschrei vernahm, und ich wurde wie versteinert, und starrte ihn ungläubig an.
Ich überlegte, ob ich nun aufhören sollte zu essen, aber meine Lust auf diesen Speck – endlich ein richtiger Tiroler Speck! – war zu groß, um Rücksicht auf seine Befindlichkeiten zu nehmen. Außerdem hatte ich mir etwas Zeit zum Überlegen verschafft, während ich kaute. Und es dämmerte mir langsam, dass der englische Speck nicht durchgeräuchert ist und daher noch halbroh bleibt. Deshalb wird er ja auch nochmal angebraten oder eben zusätzlich gegart. Ich versuchte nun anschließend zu erklären, dass unser Speck essfertig geräuchert ist. Er ist also nicht mehr roh. Tja, was soll ich sagen? Ich konnte seine Zweifel darob klar im Gesicht lesen, aber immerhin beruhigte er sich wieder und ich konnte weiteressen.
Was hat das alles nun mit Heimat zu tun? Ich fühlte mich in England echt gut, aber ich fühlte mich nie daheim. Es fehlte viel dafür: Speck allein konnte mein Umfeld nicht ersetzen, aber es war ein kleines Stück Heimat. Alles um mich herum war so anders als daheim. Alles war so neu. Die Sprache, die ich erst in diesem Jahr richtig lernen konnte. Ich erinnere mich noch sehr gut an die ewiggleichen Fehler, die ich machte. Bis heute bin ich mir nicht sicher wann „any..“ oder „some…“ verwendet werden muss (Beispiele anyway – someway, anyhow – somehow….).
Im Straßenverkehr fuhren alle links. Ich befand mich auf einer Insel, das bemerkte ich nur, weil die Leute immer vom Kontinent sprachen und Resteuropa meinten. Das Klima war für mich mörderisch! Immer feucht und die Winter waren für mich sehr hart, da diese feuchte Kälte selbst bei Plusgraden in Mark und Bein kroch. Weihachten ging man am Heiligen Abend aus (WAAAAS?) und erst am „Boxing Day“ (der 25. in der Früh) gabs die Geschenke! Plumpudding aß ich zu Silvester und suchte wie alle anderen den Penny, der ja Glück bescheren sollte. Ich fand das aber eher ekelig, dass man Geld in einer Backware versteckt! Ich könnte die Liste endlos fortsetzen.
Ich erkannte in England, wie sehr ich mein Tirol vermisse. Die Menschen, die Natur, das Klima, die Speisen usw. Es fehlte mir so vieles und ich war nach einem Jahr froh, wieder nach Hause fahren zu können. Ich war richtig selig, als ich die Berge sah und endlich wieder diese Luft riechen konnte. Endlich war ich wieder in der Heimat! Ich kann niemandem beschreiben wie glücklich ich da war! Das Essen schmeckte plötzlich viel besser als vorher. Ich begann alles viel mehr zu schätzen, was ich vorher als selbstverständlich nahm.
Hier in Südtirol ist eben Gott-sei-Dank Tirol und es ist nicht alles anders. Das macht es mir leichter. Es gibt einige Unterschiede speziell in der bürokratischen Verwaltung, natürlich beim Klima, das viel milder ist als bei uns im Norden, was mir aber gut tut! Die Natur ist anders und die Berge auch. Aber es sind wenigstens Berge da! Ich vermisse hier das österreichische Gesundheitssystem. Das fehlt mir wirklich und ich bemerke, dass ich hier gar nicht mehr zu einem Arzt gehen will, weil alles so umständlich ist. Außerdem geriet ich an eine Fachärztin, die wohl ihren Kollegen in Österreich sehr überheblich geringschätzt. Das finde ich ätzend, denn das Medikament, das sie mir als Ersatz für mein österreichisches verschrieben hatte, habe ich schlecht vertragen. So etwas bringt auch mein Vertrauen durcheinander.
Ich fühle mich aber hier weit besser „beheimatet“ als in England. Die gemeinsamen Wurzeln sind ganz deutlich zu spüren und die Freundlichkeit der Menschen trägt das ihrige zu meinem Heimatgefühl in Südtirol bei.
Natürlich wird es Menschen geben, die nicht so verwurzelt sind mit ihrer Heimat, und sie daher jederzeit problemlos verlassen können. Aber für mich gilt dies sicher nicht. Ich kann meine Wurzeln nicht verleugnen, selbst wenn ich es wollte. Das schmerzliche Empfinden des sogenannten Heimweh´s lässt keinen Zweifel daran, wo ich wirklich zuhause bin. Das finde ich auch wieder schön. Man weiß es einfach, wo man hingehört!
So wünsche ich euch einen wunderbaren, besinnlichen und gesegneten Advent! Genießt die ruhige Zeit – und für die, die keine ruhige Zeit haben im Advent, wünsche ich zumindest einzelne ruhige Tage oder Stunden, um durchatmen zu können.
Vieles kann ich sehr gut nachvollziehen. Habe über 20 Jahre in Belgien gelebt und drei Kinder auf Französisch erzogen. Meine Heimat ist quasi zweigeteilt zwischen 2 Sprachen, 2 Ländern und 2 Familien. Irgendwie bilden sie aber immer mal wieder und auf gewissen Ebenen eins. Auch Dir wünsche ich einen friedlichen Advent.
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Ja, mit zwei Heimatländer zu leben ist nicht einfach, aber es ist eine Bereicherung der Sichtweise,
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Tirol ist mein Heimatland und es ist halt seit dem 1. Weltkrieg so, dass es auf zwei Staaten aufgeteilt wurde. Es ist das System, das ein vollkommen anderes ist im südlichen Teil Tirols. Und in diesem Teil stellt die Tiroler Bevölkerung eine Minderheit im italienischen Staatsgefüge dar. Aber es ist jedenfalls eine Bereicherung, da ich viel dazulernen kann. Danke für deine Rückmeldung!
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Danke das du es als Bereicherung siehst… Ich lebe hier an der Grenzecke zum Elsass. Die Verschiebung der Völker durch den Krieg ist auch hier noch zu spüren.
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