Die andere Seite

Meine Arbeit in der Ausstellung „BAS – Opfer für die Freiheit“ hier in Bozen gefällt mir sehr gut. Durch die Studienbibliothek, welche sich noch im Aufbau befindet, kann ich immer mehr über die Zeit der 60iger Jahre in Südtirol lernen. Was aber interessant ist, dass es richtige Gegner dieser Ausstellung gibt! Ja, und die rufen sogar an! Wie solche Telefonate aussehen, möchte ich euch heute erzählen:

Wenn ich abnehme, dann spricht jemand Italienisch mit mir. Ein Italienisch, das wohl einem gebildeten Italiener genauso wenig gefallen würde wie mir. Es hagelt nur so italienische Schimpfwörter und ich verstehe sehr wohl, was der Anrufer von sich gibt. Aber da ich das Ohr für Schimpfwörter nicht besitze – unabhängig in welcher Sprache! – verstehe ich gar nichts. Dies teile ich dem Anrufer auch mit. „Cosa? Ich verstehe Sie nicht! Non capisco niente! Was möchten Sie mir sagen?“, so oder ähnlich sind meine Fragen. Irgendwann – nachdem sich der Anrufer sichtlich ärgert – spricht er mit mir auf Deutsch. Dann kommen interessante Aussagen: „Ich komme mit der Trikolore in die Sch…-Ausstellung und du kannst dann die Polizei rufen!“ Häh? Meine Antwort ist ganz klar: „Sie können gerne mit der italienischen Fahne kommen, oder mit der deutschen, französischen oder irgendeiner anderen Fahne! Aber warum sollte ich denn die Polizei rufen? Wollen Sie Besucher belästigen oder etwas zerstören? DANN nämlich MÜSSTE ich die Polizei rufen.“

Er fing an schwer zu atmen. Er schien sich sichtlich zu ärgern: „Sudtirol existiert nicht, nur Alto Adige!“, mit hörbarem italienischem Akzent. Hmhm… „Ok. Wenn Südtirol nicht existiert, dann existiert Alto Adige auch nicht! Einigen wir uns doch auf die offizielle Bezeichnung des Landes: Autonome Provinz Bozen!“ , lautet meine Antwort. Als er wieder etwas sagen will, unterbreche ich ihn und frage ihn: „Was möchten Sie mir denn sagen? Möchten Sie eine Führung buchen? Was kann ich für Sie tun?“, in sehr geschäftsmäßigem Ton. Er ist offenbar sprachlos geworden und legt auf. Dieser Ablauf war auch bei den anderen Anrufen fast gleich, nur die Beschimpfungen und der Inhalt („…. die verdammte Ausstellung frisst das Geld von Italien…; … pack die Sch…-Ausstellung und verschwinde nach Österreich…“, usw.) variierten.

Ich war schon etwas verwundert. Aber da war er nun. Man hat mir ja gesagt, dass es diese Leute tatsächlich gibt. Faschisten. Aktiv und oft recht feige. Aber naja, was wundert´s in einem Land, wo Mussolini noch auf dem Finanzamt thront, ein faschistisches Siegesdenkmal (welcher Sieg?) und noch einige andere faschistische Bauten mit öffentlichen Geldern renoviert werden? Als Österreicherin war ich zutiefst schockiert über diese Tatsachen. Auch ein erklärter Faschist wurde in den Stadtrat Bozen gewählt (Echt jetzt???), und man kann sogar mit einer faschistischen Partei bei den Landtagswahlen mitmachen. Ja, es geht soweit, dass es ein Wahlplakat gab, auf dem die amtierende Landesregierung in der oberen Hälfte und Schwarzafrikaner auf der unteren abgebildet waren mit der Aufschrift in der Mitte: Wir reinigen (säubern) Südtirol – natürlich in Italienisch! Skandalös? Wohl in weiten Teilen Europas wäre es das! Hier: NEIN. Es ist einfach so. Alltag. Ganz normal.

Die (noch) amtierende Landesführung machte zwar eine Anzeige beim Rechnungshof, der jedoch befand, dass das nicht faschistisch ist, weil es die betroffene Partei sagt. (AHA…so geht das hier!!???) Mhm.. naja, ich kenne mich mit dem Rechtssystem hier noch zu wenig aus, aber bei uns wäre das jedenfalls ein Fall für den Staatsanwalt.

Ich kann ja verstehen, dass in der politischen Landschaft nicht jeder mit allem einverstanden sein kann bzw. muss, aber es sollte doch so etwas wie einen gesellschaftlichen Konsens geben, der alles Faschistische ablehnt. Ebenso wie alles Nationalsozialistische schon abgelehnt wird.

Da arbeite ich in einer kultur-historischen Ausstellung und werde massiv mit der aktuellen politischen Situation in Südtirol konfrontiert. Damit habe ich nicht gerechnet, aber es ist auch nicht schlimm. Ich erlebe hier hautnah, wie die Aufarbeitung von Geschichte Menschen aufschrecken kann. Aber das weiß ich ja auch von uns in Österreich, als der Kurt-Waldheim-Skandal über uns hereinbrach. Plötzlich musste man sich mit der unrühmlichen Geschichte der österreichischen Nazis auseinandersetzen und die so sehr eingeübte Opferrolle verlassen. Der eine oder die andere nahm das oft sehr persönlich. Ich bin aber sehr froh, dass das so geschehen ist.

Heute sagen viele, dass wir zuwenig aufgearbeitet haben. Naja. Ich weiß nicht, ob dies allein für den Rechtsruck in Europa verantwortlich ist. Eher ist es der allgemeine Werteverlust, der grasiert und die komplizierter gewordene Lebenswelt der Einzelnen. Es ist eine Welle in Gang gesetzt, die nur Ängste schürt. Damit meine ich nicht nur den sogenannten Rechtspopulismus, sondern auch die Klimaschützer, die Umweltschützer und viele andere, die uns einen baldigen Untergang der Zivilisation prognostizieren. Oder in der Wirtschaft, dass bald kaum noch herkömmliche Arbeitsplätze da sein werden, da sich bald alles mit Elektronik und High-Tech-Computern abspielen wird. Fazit: die Arbeitslosigkeit wird in die Höhe schnellen! Tolle Aussichten!

Es finden also große Umwälzungen statt und daher ist es für mich kein Wunder, dass überall Ängste entstehen. Was soll man also mit diesen Ängsten machen? Wir allein in einem Staat können den Klimawandel nicht aufhalten, selbst wenn wir 100% klimaneutral leben könnten, da wir einfach zu klein sind und gegen Großstaaten wie China oder USA kaum viel ausrichten können. Ein Einzelner kann auch nichts gegen die Entwicklung in der Wirtschaft tun.

All das spielt beim Rechtsruck eine Rolle. Je mehr gehetzt, geschimpft und gewarnt wird, desto tauber werden die Ohren. Bitte versteht mich nicht falsch: ich stehe zu Umweltschutz und Klimaschutz, genauso wie ich gegen den allgemeinen Rechtsruck bin! Aber ich mag mich nicht hin- oder herhetzen lassen, egal von wem. Auch nicht von einem Faschisten hier in Bozen. Aber die beste Reaktion darauf ist Neutralität, so weit es eben als Individuum mit durchaus beschränktem Horizont möglich ist.

Neutralität. Sich nicht emotional zu weit hineinziehen lassen. Lieber einmal durchatmen und Abstand suchen. So wie in der Ausstellung. Fakten. Es war so. Egal wie wir es drehen und wenden. Es war so. Es waren damals menschenverachtende Regime am Werk und die Gehirnwäsche war dermaßen gut, dass auch nach dem Krieg die Köpfe noch voll davon waren. Man könnte sagen, dass damals Italien wohl meinte: „Italien den Italienern – Wir sind die, die anschaffen und wenn es den deutsch- und ladinischsprachigen Südtirolern nicht passt, dann sollen sie verschwinden.“ Viele Faktoren trugen zur Situation in den 60iger Jahren bei. Schnell wurde das Urteil über die „Terroristen“ gefällt.

Ich sehe auch die andere Seite in der Geschichte: ein Militär, das ganz junge Soldaten mit unglaublicher Angst vollstopft, um sie dann – unerfahren wie sie sind – auf die Südtiroler los zu hetzen. Wir sprechen vom Militär! Da gibts kein „..ja,aber…“! Du hast zu spuren, sonst gibts massive Konsequenzen. Dies erzählte mir ein Besucher selbst. Damals blutjung und unerfahren aus den südlicheren Regionen hierher geschickt, ohne auch nur eine Ahnung von den Südtirolern und ihrer Situation zu haben. So voller Angst in der Kaserne, dass er am liebsten nie rausgegangen wäre. Wenn da nicht dieser Antreiber gewesen wäre. Jeden Tag mit Angst unterwegs sein. Angst, aus dem Hinterhalt erschossen zu werden.

Obwohl ich nicht selbst betroffen bin als Nordtirolerin, geht mir die Geschichte der Südtiroler doch sehr nahe. Wie Menschen gegeneinander ausgespielt und einfach mal so geopfert werden. Gefoltert, gedemütigt und gehasst auf der einen Seite. Verängstigt, verhetzt und entmündigt auf der anderen Seite. Was eine Staatsmacht mit ihren Leuten machen kann, ist wirklich erschreckend.

Wie eine Gesellschaft tickt, erkennt man oft am Fernsehprogramm. Ich empfehle allen, die ein bisschen des Italienischen mächtig sind, sich italienische Programme anzusehen. Ist eh inhaltlich fast gleich wie bei manchen Sendern im Deutschen Fernsehen, aber immer wieder einmal werden die Südtiroler als „Schmarotzer“ bezeichnet, die das Geld von Italien verschlingen. Das gibts im Deutschen Fernsehen nicht, dass ein Bundesland dermaßen verunglimpft wird! Ich habs jedenfalls nie erlebt. Aber daran erkennt man, dass nach wie vor gehetzt wird gegen Südtirol. Gegen die Autonomie.

So wird die Geschichte hier durchaus lebendig bzw. ist sie teilweise noch sehr lebendig, wenn ein Faschist mal ein „Pläuschchen“ halten will mit mir! Was ich bei meiner Arbeit erlebe, zeigt mir ganz deutlich, dass dies eine wirklich sinnvolle und erfüllende Aufgabe ist.

So, nun habe ich euch wieder ein weiteres Puzzle-Steinchen von meinem neuen Leben hier in diesem wunderschönen Südtirol gezeigt. Ich freue mich über jede Rückmeldung, Lob und natürlich auch Kritik.

Es kündigt sich schon der Advent an und ich wünsche euch noch viele schöne Stunden im langsam ausklingenden Herbst.

Nachtrag:
Wer sich mal in Bozen aufhält, ist herzlich eingeladen, mich in der Ausstellung zu besuchen:

Öffnungszeiten: Di – Sa von 10 – 12 und von 15 – 17 Uhr. Sonn- und Feiertage geschlossen.
Adresse: Laubengasse 9, 39100 Bozen
Telefon: +39 0471 214 169
E-Mail: info@bas.tirol
Web: http://www.bas.tirol

 

9 Kommentare zu „Die andere Seite

  1. Danke für den interessanten Eintrag. Mich interessieren Grenzen schon immer, habe auch 20 Jahre als Deutscher in Belgien gelebt, aber nicht im deutsprachigen Gebiet um Eupen, sondern in der Wallonie. War auch zweimal mit meinen französischsprachigen Kindern und ihrer Mutter auf Urlaub am Gardasee. War ziemlich eigenartig, dass es da alle deutschsprachigen Zeitungen gab. Ich mag Österreich, Schweiz und Italien, letztere mit ihren zwei oder mehr Sprachen. Erst aus Deinem Eintrag erfahre ich, dass es anscheinend auch eine irgendwie geartete Grenze zwischen Nord- und Südtirol gibt. Aha. Sehr interessant. Liebe Grüsse!

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    1. Nord-, Ost-, Süd- und Welschtirol (heute Trentino) waren bis zum 1. Weltkrieg eine Region (Tirol) in der österreichischen Monarchie. Nach dem Krieg wurde Süd- und Welschtirol vom restlichen Tirol abgetrennt und Italien zugesprochen. Nord- und Osttirol, das nun auch keinen direkten Zugang mehr zu Nordtirol hat, ist bei Österreich verblieben. Die Grenze verläuft heute auf dem Brennerpass. Die Beibehaltung der Tiroler Kultur (=österreichische Kultur) musste von den Südtirolern gegen viele Widrigkeiten hart erkämpft werden. Deshalb sprechen die Südtiroler noch heute unseren Tiroler Dialekt, und sie leben noch heute unsere Kultur, was mir das Gefühl gibt, zuhause zu sein.
      Schön, dass dir der Beitrag gefallen hat! Liebe Grüße und vielen Dank für deine Rückmeldung!

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  2. Hallo Michaela! Das ist schon heftig!!! Aber lass sich nicht drausbringen. Vielleicht schaffe ich es mal vorbeizuschauen. Hatte Mittwoch ein trauriges Erlebnis als ich übern Brenner fuhr mit Zug. Es ist wirklich nicht einfach das Leben zur Zeit. Lass dich nicht unterkriegen und liebe Grüße von mir

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    1. Danke, Reini. Ich lass mich nicht irritieren, weil ich weiß, dass die Ausstellung vollkommen richtig und wichtig für Südtirol ist. Hoffe, dass das Erlebnis von dir nicht zu schlimm war… Alles Gute dir und ganz liebe Grüße!

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  3. Grazie Michaela, ho avuto il piacere di fare la tua conoscenza e dialogare. Purtroppo, parlo degli italiani, normalmente salvo pochissimi non conoscono la storia e vivono nella profonda ignoranza per quanto riguarda la prima guerra 1915/18, inoltre in ogni paese d’Italia anche se sperduto oltre che nelle citta, c’è una lastra di marmo con proclami che inneggiano alla Vittoria. Non ci sono però notizie e informazioni sui 750,00 mila morti italiani. Per quanto riguarda la storia del Sud-Tirolo e della lotta del Bas di Klotz, Amplatz, etc.. etc…non gli interessa , si sentono padroni e non rispettano. Non ci sono scuse, ma è così. Spero ci si veda l’8 dicembre.

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    1. Caro Salvatore, grazie mille per il tuo commento. So che molti italiani non sanno ancora abbastanza sulla verità della prima guerra mondiale. I negazionisti della verità – coloro che dovrebbero conoscere molto bene la verità ma non vogliono saperla – purtroppo esistono ovunque. Sono responsabili della non conoscenza di molti. Così ogni singolo visitatore che viene da me nella mostra è il benvenuto. E forse vanno con la sensazione che dopo tutto c’è molto di più da scoprire. Poi li ho fatti indagare e cercare se stessi. Questo è tutto ciò che posso sperare. Ma ogni singolo di loro è un moltiplicatore. Senza verità, non c’è vera libertà. Né per gli italiani, né per gli altri. Vogliamo continuare a lavorare insieme su questa educazione.
      Sono alla commemorazione di Sepp Kerschbaumer a St. Pauls l’8 dicembre. Sarebbe bello di rivederti! La mostra è chiusa nei giorni festivi. Quindi spero che tu non abbia voluto visitare la mostra…..

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  4. Liebe Michaela, vielen Dank für die Mitteilung Deiner Erlebnisse in der laufenden Ausstellung. Auch wenn wir gerade darüber bei unserem Gespräch ausführlich unterhielten, ist der Eindruck trotzdem groß.. Bei meinen jährlichen Besuche in Südtirol und bei meinen – eher wenigen – Kontakten mit Südtirolern wird einem oberflächlich vermittelt, es passt eh alles und es bestünde eine respektive Integration in beiden Kulturen.. mir ist es oft vorgekommen, ich will daran nicht glauben.. Umso wichtiger war es für mich, jetzt eine andere Seite der Realität in Südtirol zu erfahren. Danke Dir dafür !!

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    1. Danke Lumi für deine Rückmeldung. Der Schein trügt oft. Wenn ein italienisches Unternehmen sagt, dass die Zweisprachigkeit 100%ig gegeben sei, dann hören wir hier, dass 100%ig die meisten deutschsprachigen Südtiroler sich in Italienisch mit den anderen verständigen! Es mag vielleicht erlaubt sein, aber – wie so oft – ist es nicht umsetzbar: wenn die meisten Italiener kein Deutsch sprechen, wird es irgendwann selbstverständlich, dass man im Betrieb italienisch spricht. Wie würde auch sonst die Verständigung klappen? Was wiederum ein Grund ist, dass viele Italiener keinen Anlass sehen, deutsch zu lernen! Wenn also der Betrieb nicht bei der Personalauswahl auf die Zweisprachigkeit achtet, dann wird das „Problem“ Zweisprachigkeit irgendwann von selbst obsolet. So läuft das in sehr vielen Bereichen hier. Es wird Ausnahmen geben, aber es sind dann eben Ausnahmen. Also oberflächlich betrachtet ist ja auch alles in Ordnung!

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